16 Monate Pandemie haben gezeigt: Player der Versicherungsbranche müssen krisenfest aufgestellt sein, um ihren Kunden auch in schwierigen Zeiten Sicherheit vermitteln zu können. Doch was heißt eigentlich krisenfest? Für Christian Gnam, Managing Director des InsurTech Hub Munich, heißt das vor allem Flexibilität. Flexibilität, die sich gleichermaßen im Umgang mit sich wandelnden Situationen und dem allgemeinen Wandel in der Branche manifestiert. Ein Gespräch über die Notwendigkeit und Chancen der Digitalisierung.
Markel: Herr Gnam, wie ist Ihr Geschäft strukturiert und wie hat es sich seit der Corona-Pandemie am grundlegendsten geändert?
Markel: Herr Gnam, wie ist Ihr Geschäft strukturiert und wie hat es sich seit der Corona-Pandemie am grundlegendsten geändert?
Christian Gnam: Der InsurTech Hub Munich (ITHM) hat sich zum Ziel gesetzt, Innovationen in die Versicherungswirtschaft hineinzutragen und damit die Digitalisierung der Branche voranzutreiben. Hierfür verbindet der ITHM seine Mitgliedsunternehmen insbesondere mit Startups, aber auch mit führenden Techunternehmen, Cross-Industry-Partnern und mit weiteren wichtigen Stakeholdern. Vor der Pandemie ermöglichte der ITHM die gegenseitige Vernetzung vor allem über persönliche Treffen und Veranstaltungen vor Ort. Seit der Pandemie finden der Austausch sowie die Events fast ausschließlich virtuell statt.
Markel: Was sind für Sie dabei die größten Herausforderungen?
Christian Gnam: Während Einzelgespräche noch relativ einfach von der physischen in die virtuelle Welt übertragbar sind – teilweise ist es sogar einfacher, über Video Calls Termine zu arrangieren, da sie mit weniger Zeitaufwand verbunden sind – ist das virtuelle Networking und der damit verbundene spontane Austausch deutlich schwieriger darzustellen. Auch die Zusammenarbeit in Teams und der damit nötige Informationsfluss hat von uns ein Umdenken und eine intensive Nutzung digitaler Tools gefordert.
Markel: Zum Beispiel?
Christian Gnam: Die Kommunikation mit dem Team läuft über verschiedene virtuelle Kanäle ab. Für den schnellen Informationsaustausch nutzen wir beispielsweise einen Instant Messaging Dienst. Außerdem haben wir ein Projektplanungstool im Einsatz, das wir zugleich auch als CRM Tool nutzen, in dem sowohl alle wichtigen Kontakte wie auch Informationen zu den laufenden Projekten oder Events hinterlegt sind. Alle Kolleg*innen können den jeweilige Projektstatus, die nächsten Schritte und wer jeweils im Lead ist einsehen. Für den direkten Austausch haben wir regelmäßige Team-Updates und One-on-One Austausch via Videokonferenz oder Telefon etabliert, die mehrmals wöchentlich stattfinden. Letzteres wird auch gerne genutzt, da man nebenbei mal spazieren gehen kann, was für Augen und Rücken eine willkommene Abwechslung ist.
Markel: Können Sie sich so auch menschlich nah bleiben?
Christian Gnam: Wenn man die Arbeitsabläufe fast komplett in die virtuelle Welt verlegt läuft man Gefahr, dass der menschliche Zusammenhalt abhandenkommt. Aber genau der ist für die Zusammenarbeit im Team und die Motivation der Mitarbeiter sehr wichtig. Deshalb halten wir mehrmals pro Woche „Virtual Coffee Breaks“ ab, bei denen wir uns entweder in Einzelgesprächen oder auch in der Gruppe über nicht arbeitsbezogene Themen austauschen. Darüber hinaus organisieren wir etwa einmal pro Monat einen Social Event, bei dem wir beispielsweise zusammen Gesellschaftsspiele spielen.
Markel: Und wie kommunizieren Sie mit Ihren Kunden und Partnern?
Christian Gnam: Derzeit findet der Austausch fast ausschließlich über Video Meetings und Videokonferenzen statt. Die Kommunikation ist dadurch oft zielgerichteter und man kann auch einen größeren Personenkreis ansprechen. Durch die virtuellen Formate können sich die Leute schnell und ohne viel Aufwand – wie etwa eine lange Anreise – dazuschalten. Was allerdings nur eingeschränkt in der virtuellen Welt darstellbar ist, ist das Netzwerken und der spontane Austausch, wie man ihn von physischen Events kennt. Diese Überraschungselemente sind ein wichtiger Bestandteil der Innovationskultur. Insbesondere bei unseren Versicherungsunternehmen hat man sich mit dem virtuellen Netzwerken lange schwer getan und tut es teilweise immer noch. Daher freuen wir uns auf ein hoffentlich baldiges Ende der Pandemie und die damit verbundene Möglichkeit für persönliche Treffen. Die Vorteile der virtuellen Welt wollen wir allerdings auch weiterhin nutzen und werden daher auf hybride Konzepte setzen, um das Beste aus beiden Welten zu vereinen.
Markel: Stichwort Networking: Sie haben seit Pandemieausbruch viele Online Events veranstaltet, hat das funktioniert?
Christian Gnam: Online Events bringen eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich. Zum einen steigt die Reichweite, was unserem Anspruch, eine breite und internationale Community einzubinden, zugutekommt. Bei größeren Events wie unseren Showcases konnten wir weit über 1.000 Anmeldungen aus allen Kontinenten verzeichnen. Gleichzeitig ist es auch einfacher prominente Sprecher über die Landesgrenzen hinweg zu bekommen. Neben einer Keynote von Gesundheitsminister Jens Spahn hatten wir auch einen bekannten Health-Tech-Influencer für den Showcase unseres Digital-Health-Programms gewinnen können
Markel: Welche Herausforderungen sehen Sie bei Ihren Partnern und wie beeinflusst das Ihr Geschäft?
Christian Gnam: Die Pandemie hat den großen Nachholbedarf der Versicherungswirtschaft im Bereich Digitalisierung offengelegt. Besonders deutlich konnten die Unternehmen dies hinsichtlich der Interaktion mit dem Kunden und der internen Arbeitsorganisation, Stichwort Home Office, spüren. Lösungen mussten schnell gefunden und implementiert werden, was zur Folge hatte, dass Konzepte wie etwa Telemedizin oder digitale Beratungstools einen enormen Nachfrageschub erlebt haben, während sie zuvor eher ein Schattendasein gefristet haben. Das gilt übrigens für die Anbieter- wie die Kundenseite. Dank unseres Startup-Portfolios konnten wir unseren Partnerunternehmen schnell und zielgerichtet passende und innovative Lösungen vorstellen. Seitdem haben wir auch den Erfahrungsaustausch zwischen unseren Mitgliedsunternehmen zu den Themen Innovation und Digitalisierung noch stärker gefördert. Dafür haben wir beispielsweise Tech-Partner wie Microsoft, NTT Data und SAP eingebunden, da sie im genannten Bereich schon deutlich fortschrittlicher sind.
Markel: Hat sich die Nachfrage auch nach anderen Produkten oder Dienstleistungen erhöht?
Christian Gnam: Neben den bereits benannten Punkten ist generell zu beobachten, dass die Digitalisierungsvorhaben in allen Bereichen deutlich schneller und mit mehr Konsequenz verfolgt und umgesetzt werden als in der Vergangenheit.
Markel: Ein überfälliger Schritt?
Christian Gnam: Auf jeden Fall. Es ist nur schade, dass es ausgerechnet eine Pandemie gebraucht hat, damit sich die Versicherungswirtschaft ernsthaft digitaler und moderner aufstellt. Zuvor hing die Assekuranz im Vergleich mit anderen Branchen noch deutlich hinterher. Vielleicht auch weil die Regulierung hier lange einen komfortablen Schutz geboten hat und dementsprechend der Druck zur Veränderung noch nicht groß genug war. Interessant ist in diesem Kontext zu beobachten, dass die meisten Startups nicht auf Konfrontation, sondern auf Kollaboration mit den etablierten Versicherern setzten. Dadurch ergeben sich für beide Seiten große Chancen.
Markel: Also wird die Krise die Versicherungs- und Startup-Branche nachhaltig beeinflussen?
Christian Gnam: Durch die Krise hatten die Unternehmen in fast alle Branchen keine andere Wahl, als die Digitalisierung im eigenen Haus voranzutreiben und umzusetzen, wenn sie weiterhin Bestand haben wollen. Auch der Konsument, der in Deutschland in der Vergangenheit digitalen Lösungen oft skeptischer gegenüberstand als in manch anderen Ländern, hat sich dem Thema mittlerweile geöffnet. Beide Entwicklungen sind hier, um zu bleiben. Durch die gestiegene Akzeptanz auf beiden Seiten haben sich die Ausgangsbedingungen für Startups mit neuen innovativen Technologien und Produkten deutlich verbessert.
Markel: Was konkret würden Sie sich mit Blick auf Ihren Markt wünschen?
Christian Gnam: Neben der Suche nach Lösungen für die aktuellen Herausforderungen, wir sprechen hier von inkrementellen Innovationen, würde ich mir noch etwas mehr Mut für ganz neue Ansätze wünschen. Zum einen muss in Richtung Kunde noch ein deutliches Um- und Neudenken stattfinden. Hierbei sollte nicht das Produkt, sondern der Bedarf des Kunden stärker in den Vordergrund gerückt werden. Des Weiteren sollte sich die Branche noch weiter für Kooperationen mit anderen Industrien oder auch bisherigen Wettbewerbern öffnen. Hier gilt es zu definieren, was der eigene Mehrwert, die eigene Kernkompetenz ist, die in eine solche Kooperation mit einfließt, und was besser von Partnern abgedeckt werden kann. Die Branche muss weg von dem Denken, dass jeder alles inhouse macht und sein eigenes Süppchen kocht und hin zu einem breiteren partnerschaftlichen Ansatz. Das wäre auch im Sinne der Kunden.
Markel: Das heißt, Sie können der Krise durchaus etwas Positives abgewinnen?
Christian Gnam: Wie die Geschichte schon oft gezeigt hat, birgt jede große Krise auch große Chancen. Die Pandemie hat uns wie in einem Brennglas unseren Nachholbedarf im Bereich Digitalisierung aber auch auf Defizite in der Verwaltung oder in nationalen Gesundheitssystemen gezeigt. Staat, Unternehmen und Bürger sind nun aufgewacht und bereit, die nötigen Veränderungen vorzunehmen und neue Wege zu gehen. Diese Aufbruchstimmung in Folge der Krise ist für mich der positivste Aspekt.
Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Interview und bleiben Sie gesund.